Als in England noch über das Für und Wider des Brexit gestritten wurde, tauchte ein Name in der Debatte auf, der für ein Ereignis steht, das sich vor fast 1000 Jahren zugetragen hat: Hastings. An diesem Ort an der Südküste Englands siegte am 14. Oktober 1066 der Normanne Wilhelm der Eroberer über den Angelsachsen Harald II. und vollendete damit seine Invasion. Für die einen steht die Schlacht von Hastings für das Trauma, dass ein Feind vom Kontinent auf der Insel Fuß fassen könnte, für die anderen wurde England damals erst in den Kreis der abendländischen Zivilisation aufgenommen.
Einig waren sich Brexit-Befürworter und -Gegner aber in dem Urteil, dass die normannische Eroberung Englands „eines der wichtigsten Ereignisse in der europäischen Geschichte“ sei, wie es unlängst der Historiker Richard Huscroft formuliert hat. Allerdings bildet Hastings dabei nur den Schlusspunkt in einer Kette von Ereignissen, die das Jahr 1066 tatsächlich zu einer Zäsur machen. England wurde aus der Einflusssphäre der Wikinger gerissen und recht unsanft mit der Zivilisation des mittelalterlichen Kernkontinents verbunden.
Bis 1066 gehörten die Britischen Inseln noch zum Kosmos der Skandinavier, als Opfer ihrer Beutezüge, Schlachtfeld ehrgeiziger Häuptlinge und Basis für weitere Unternehmungen. Weite Teile Schottlands, die Shetlands, Orkneys und Hebriden ohnehin, gehörten zum norwegischen Einflussbereich, weiter südlich landeten regelmäßig dänische Heere. Erst 1016 hatte der Däne Knut der Große England erobert und in der Folge ein Imperium errichtet, zu dem neben Dänemark auch Norwegen gehörte. Wie eng die Verbindungen zwischen Wikingern und Angelsachsen waren, zeigt die Nachfolge Knuts. Sein Stiefsohn war Eduard der Bekenner, der trotz seiner normannischen Prägung als Angelsachse galt. Als dieser 1066 kinderlos starb, wurde Harold Godwinson als Harald II. von den Großen zum König gewählt.
Mindestens drei Fürsten waren mit dieser Wahl nicht einverstanden: Haralds Bruder Tostig, König Harald von Norwegen und Herzog Wilhelm von der Normandie. Umgehend zogen alle drei Heere zusammen. Es war normal im mittelalterlichen England, dass übergangene Brüder gegen den König zu Felde zogen. Auch Haralds Feldzug folgte den Bahnen, die Wikingerheere seit dem 9. Jahrhundert genommen hatten. Nur bei Wilhelm sah die Sache etwas anders aus, nicht weil er seine normannische Herrschaft in der Normandie um ein Königreich erweitern wollte, sondern weil er zugleich einem Konzept folgte, das die üblichen Pläne seiner Konkurrenten weit in den Schatten stellte.
Tostig, Earl of Northumbria, hatte von jeher nach Höherem gestrebt. Wegen eines Aufstands gegen Eduard den Bekenner hatte er ins Exil gehen müssen. Nach der Königswahl seines Bruders kehrte er zurück, sammelte auf der Isle of Wight eine Flotte von 60 Schiffen und segelte bis in den Humber, die fjordähnliche Bucht, von der aus Wikinger gern die Stadt York attackierten, das feste Zentrum des Nordens. Tostigs Heer wurde allerdings im Mai 1066 von den Gefolgsleuten Haralds II. weitgehend aufgerieben. Tostig floh daraufhin nach Schottland und nahm Kontakt mit dem König von Norwegen auf.
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Harald III. Hardrade (der Harte) war von einem anderen Kaliber. In den üblichen innernorwegischen Machtkämpfen, die den Machtspielen von „Game of Thrones“ in nichts nachstehen, hatte er als junger Prinz den Kürzeren gezogen und musste das Land verlassen. Er ging in den Osten, nach Russland, wo Nordleute (Waräger) aus Schweden ein riesiges Tributimperium geschaffen hatten. Von dort zog er weiter nach Byzanz und trat in die Warägergarde ein, eine Elitetruppe, mit der die Kaiser Weltpolitik betrieben. Auf zahlreichen Feldzügen bewies Harald sein militärisches Geschick, wurde reich und berühmt, heiratete eine Prinzessin aus Kiew und konnte sich schließlich als König von Norwegen etablieren. Da die ständigen Kriegszüge gegen Dänemark in einem Patt endeten, bot sich England als neues Betätigungsfeld an. Mehr als 200 Schiffe mit gut 8000 beutegierigen Kriegern sollen Harald begleitet haben.
Der wegen seines gnadenlosen Vorgehens gegen Rivalen sogenannte Harte vereinigte seine Truppen mit den Resten von Tostigs Heer und landete im September unweit von York. Diesmal zogen die Leute Haralds II. den Kürzeren. Nach dem Sieg bei Fulford brachte der Norweger die Stadt in seine Gewalt und sah sich bereits als Herr Northumbrias. Zur gleichen Zeit rüstete sich Wilhelm zum Angriff auf England. Vor der Normandie zog er zahlreiche Schiffe zusammen. Ende September gelangte die Flotte mit bis zu 10.000 Mann und einigen Tausend Pferden bei unruhigem Wetter über den Kanal.
Harald II. handelte schnell. Er wartete nicht, bis die verstreuten Aufgebote aus seinem Reich zu ihm gestoßen sein würden, sondern zog mit vielleicht 7000 bis 8000 Mann in Eilmärschen über die 350 Kilometer nach Norden. Am 25. September, nur fünf Tage nach dem Sieg der Norweger bei Fulford, stand der Angelsachse vor York. Die Wikinger waren so überrascht, dass viele nicht einmal die Kettenhemden angelegt haben sollen. An der Stamford Bridge kam es zu einer heftigen Schlacht. Selbst als ein Pfeil Harald Hardrades Heldenleben ein Ende setzte, kämpften seine Männer bis zur Erschöpfung weiter. Nur zwei Dutzend Schiffe sollen dem Gemetzel entkommen sein.
Doch auch die Verluste Haralds II. waren groß. Als er von der Landung Wilhelms hörte, zögerte er jedoch nicht, die Überlebenden erneut in einem Gewaltmarsch nach Süden zu führen. In London stießen einige Verstärkungen zu ihm. Am 13. Oktober standen seine abgekämpften Leute vor Hastings, wo sie auf einer Erhebung „bei einem grauen Apfelbaum“ Stellung bezogen. Bereits am frühen Morgen des folgenden Tages begann die Entscheidungsschlacht.
Obwohl oft beschrieben, widersprechen sich die Quellen in vielen Punkten. Nach dem wohl besten Zeugnis, dem Teppich von Bayeux, auf dem Wilhelms Bruder Odo Landung und Schlacht darstellen ließ, verfügte Harald nur über wenige Bogenschützen und keine Reiterei. Damit war der dichte Schildwall, den seine Krieger auf der Erhöhung bildeten, zwar eine starke Defensivstellung, von der aus aber nur schwer die Offensive zu gewinnen war. Allerdings musste Harald im Gegensatz zu seinem Herausforderer auch nicht unbedingt gewinnen, Wilhelm dagegen hatte nur die Chance, im Feindesland zu überleben, indem er siegte.
Wie schon die dicht gestaffelten Schlachtreihen griechischer und römischer Heere der Antike bewiesen hatten, zeigte sich der Schildwall der angelsächsischen Infanterie den normannischen Kavallerieangriffen gewachsen. Als gar die Nachricht die Runde machte, Wilhelm sei gefallen, drohte sein Heer sich aufzulösen. Wilhelm erkannte die Gefahr, exponierte sich und konnte damit die Krise meistern. Zuvor aber hatten zahlreiche Kämpfer Haralds ihre Position verlassen, um den vermeintlich Fliehenden nachzusetzen. Das aber riss Lücken in den Schildwall, zumal die Kämpfer, die einzeln oder in Gruppen die Normannen verfolgten, von diesen leicht niedergemacht wurden.
Wie an der Stamford Bridge war es wahrscheinlich ein Pfeil, der die Entscheidung brachte. Auch nachdem Harald II. tödlich getroffen worden war, kämpften seine Männer bis zum Anbruch der Nacht weiter. Einigen gelang in einem erfolgreichen Rückzugsgefecht die Flucht, die meisten blieben wohl tot auf dem Schlachtfeld. An Weihnachten wurde der Normanne Wilhelm in Westminster zum König von England gekrönt.
Sein Eroberungszug veränderte das politische Ordnungsgefüge Europas nachhaltig. „Ein neues, beide Seiten des Ärmelkanals überspannendes Herrschaftsgebilde war entstanden, und aus dem mächtigsten Mann Nordwestfrankreichs war nun einer der bedeutendsten Herrscher Europas geworden“, zieht der Heidelberger Historiker Jörg Peltzer („1066“) Bilanz. Denn anders als Wikingerführer, die vor und auch nach Hastings England als Tummelwiese für ihre Machtspiele missbrauchten, war Wilhelm in der römisch-katholischen Zivilisation Zentraleuropas sozialisiert, die er nun mit aller Macht in England heimisch machte.
500 neue „Turmhügelburgen“
Nach diversen Aufständen etablierten die maximal 25.000 Normannen und andere Franzosen ein regelrechtes Besatzungsregime. Sie übernahmen fast alle führenden Positionen und besaßen das Gros des Landes. Rund 500 neue „Turmhügelburgen“ symbolisierten ihre Herrschaft und sicherten sie zugleich. Latein als Amtssprache verdrängte das Altenglische, romanische Kirchen nach französischem Vorbild überzogen das Land.
Zugleich aber stabilisierten und förderten Herrschafts- und Verwaltungsformen des Kontinents die Lebensverhältnisse auf der Insel. Im „Domesday Book“ erstellte Wilhelm ab 1086 einen regelrechten Kataster seines Reiches, der zur Grundlage von Verwaltung und Steuererhebung wurde (wobei die byzantinische Verwaltung des nunmehr normannisch beherrschten Sizilien ein Vorbild war). Auch die neue Kriegerethik brachte Ruhe ins Land. Versklavung gehörte nicht mehr zum Programm der normannischen Krieger von 1066, schreibt Jörg Peltzer. Auch berserkermäßige Gemetzel, wie sie die Wikinger in ihren Sagas feierten, waren passé. An ihre Stelle trat das Ideal einer Kampfeskunst, in der vorbildliche Ritter sich in Mut, Geschick und Loyalität maßen und nach einer Gefangennahme wieder freiließen, freilich gegen Lösegeld.
Mit dem Tod Harald Hardardes endete die Epoche der großen Wikingerzüge. Zugleich wurde England von Wilhelm in den Grundtakt des mittelalterlichen Kontinents eingefügt. Das sind die welthistorischen Folgen von 1066. Hundert Jahre später sahen die Nachfahren der Eroberer in England ihre Heimat und sprachen und dachten genauso wie die zwei Millionen, die sie einst unterworfen hatten.
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Author: Mrs. Kim Hart
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